Nach 16 Wochen Training mit knapp 700 km, rund 20.000 Höhenmetern (mit einer Ausnahme allein & meist in den Baumbergen) sowie zahlreichen Kraft- und Mobility-Einheiten saß ich am 14. Juni 2025 um 7:15 Uhr endlich im Shuttle von Garmisch nach Leutasch (in Österreich) – gemeinsam mit vielen anderen Läufer:innen der #ZUTFamily,

um den gleichnamigen Trail zu laufen. Bis dato war meine längste Strecke der Mittenwald Trail mit 44 km – nun standen 68 km mit 2.870 m Aufstieg und 3.370 m Abstieg bis zum Ziel in Garmisch-Partenkirchen bevor.

Die Route führt über landschaftlich beeindruckende Abschnitte wie die Wangalm, das Scharnitzjoch (2.048 m), die Hochalm und abschließend den Osterfelderkopf (2.025 m). Besonders fordernd ist der technisch anspruchsvolle Downhill vom Scharnitzjoch zur ersten Verpflegungsstation (VP) beim Hubertushof.

Freunde fragten mich oft, wie viel Zeit ich für die Strecke einplane. Das Einzige, was ich wusste: Das Zeitlimit lag bei 16 Stunden, und die Durchschnittszeit im Jahr 2024 betrug etwa 11,5 Stunden. Also setzte ich mir die 12-Stunden-Marke als Ziel. Doch bei fast 30 °C schon um 9 Uhr morgens am Start war mir sofort klar: Das wird schwierig. Dieser Gedanke sollte sich bewahrheiten, denn bei hochsommerlichen Temperaturen über 30 °C wurde der Lauf für viele zur Hitzeschlacht. 23 % der rund 650 Starter:innen erreichten das Ziel nicht. Glücklicherweise wurde am Vortag folgende Mitteilung an alle Teilnehmer:innen verschickt:

„Wegen erwarteter Hitze empfehlen wir dringendst einen Sonnenhut mit breiter Krempe und ausreichend Wasser (mind. 1 Liter) bereits beim Start dabei zu haben. Außerdem gibt es einen zusätzlichen medizinischen Status-Check an der V9/Hochalm (für ZUT100, Ultratrail, Ehrwald Trail, Leutasch Trail, Mittenwald Trail).“

So ergab sich eine kurzfristige Erweiterung meiner (Pflicht-)Ausrüstung: eine 1,5-Liter-Trinkblase. Insgesamt hatte ich nun eine Kapazität für 2,5 Liter Flüssigkeit dabei, die ich an jeder VP wieder aufgefüllt habe und kam somit auf über 11 Liter Flüssigkeit während des Laufs. Voll aufgefüllt wog mein Laufrucksack nun über 5 kg.

Erschwerend kamen die doch längeren Distanzen zwischen den VPs hinzu. Im Gegensatz zu einem Straßenmarathon, bei dem es alle 2,5 km etwas zu trinken gibt, lagen die Verpflegungspunkte beim Leutasch Trail deutlich weiter auseinander. Hinzu kommt: Wer das Zeitlimit (Cut-Off) nicht einhält, wird disqualifiziert – ein „DNF“ (Did Not Finish) in der Ergebnisliste ist das Letzte, was man möchte.

Während die Besuche an einer VP bei einem Marathon eher unspektakulär sind (Getränk suchen, Becher greifen, trinken, wegwerfen), fiebert man beim Ultra-Trail regelrecht auf die nächste Station hin. Auch trifft man an der VP immer wieder auf dieselben Mitläufer:innen. Mein Ablauf an jeder VP war nahezu identisch:

  • obligatorisches Selfie für den (WhatsApp-)Status, meine Frau meinte endlich würde ich mal auf Fotos lächeln
  • Auffüllen der Flask‘s und der Trinkblase mit ca. 2,5 Litern Wasser
  • kurzer Equipment-Check
  • Verpflegung mit Wassermelone, Banane und Orange (feste Nahrung bekam ich nicht herunter)
  • Trinken aus dem eigenen Becher (gehört zur Pflichtausrüstung)
  • Smalltalk

Zwischen den VPs nahm ich stündlich eine Salz-Kapsel, etwa 50 g eines Kohlenhydrat- und Elektrolyt-Pulvers, 1–2 Powergel-Shots und anfangs stündlich ein weiteres Gel zu mir. Ich habe viele Läufer:innen getroffen, die massive Magenprobleme hatten und deshalb aufgeben mussten. Meine Vermutung: Es wurde zu wenig Flüssigkeit aufgenommen, sodass die Nährstoffe nicht richtig verstoffwechselt werden konnten. Das führte vermutlich zu Gärprozessen im Magen-Darm-Trakt und ein unfreiwilliger Besuch im Gebüsch.

Diese Erfahrung habe ich auch auf einem meiner Vorbereitungsläufe machen dürfen. Trotz meiner 20-jährigen Lauferfahrung lief an diesem Tag fast alles schief: Es war bis dahin der heißeste Tag des Jahres, mein Start erfolgte in der prallen Mittagssonne, die Strecke, der Baumberger Ludgerusweg, mit 34 km war mir unbekannt (Stichwort: Möglichkeit einer Getränkeversorgung), ich testete ein neues Kohlenhydrat- & Elektrolyt-Pulver und verlor zudem direkt am Anfang meine Salztabletten. Zuhause angekommen dachte ich mir nur, nur gut, dass das jetzt passiert ist und nicht im Rennen. Wie sage ich immer so schön: „Wer im Training nur das Paradies sieht, kann im Wettkampf nicht durch die Hölle gehen.“

Und natürlich gibt es zu jedem Streckenabschnitt eine eigene Geschichte:

Start – VP 5 (Hubertushof) | Distanz: 15 km | Aufstieg 980 m | Abstieg 1020 m | Gesamtzeit: 3:21 h (ab Start)

Statt der geplanten 2,5 Stunden bis zur ersten VP brauchte ich fast 3,5 Stunden. Bei Temperaturen jenseits der 30 °C nutzte ich bereits zu Beginn jede Wasserquelle zur Abkühlung – ein Muster, das sich durch den gesamten Lauf zog. Kurz vor der VP traf ich Roman. Auch er hatte seine Zielzeit zu diesem Zeitpunkt bereits nach oben korrigiert. Sein Trainer hatte ihm eine Endzeit von unter 11 Stunden prognostiziert – letztlich brauchte auch Roman über 13 Stunden.

VP 5 (Hubertushof) – VP 6 (Mittenwald) | Distanz: 9 km | Aufstieg 70 m | Abstieg 230 m | Gesamtzeit: 4:55 h

Dieser Streckenabschnitt wurde im Nachhinein scherzhaft als das „Death Valley vor Mittenwald“ bezeichnet. Die Temperaturen lagen deutlich über 30 °C, trotz eines leichten Gefälles gingen die meisten Läufer:innen um mich herum. Wir waren überzeugt, gut in der Zeit zu liegen, schließlich hielten wir uns gefühlt im Mittelfeld auf. Doch an der Verpflegungsstation wurde uns klar: Die Helfer:innen waren bester Laune, weil sie nur noch 20 Minuten Dienst hatten – wir waren also nah am Cut-Off. Ein Blick auf die Live-Ergebnisliste bestätigte Platz 307 von 650 – rechnerisch Mittelfeld, praktisch auf der Kippe.

VP  6 (Mittenwald) – VP 7 (Schloss Elmau) | Distanz: 10 km | Aufstieg 320 m | Abstieg 230 m | Gesamtzeit: 6:43 h

Aufgrund des drohenden Cut-Offs hatte sich im zweiten Drittel dieses Streckenabschnitts eine kleine Laufgruppe gebildet – Mandy, drei Männer und ich. Da der Abschnitt im Schatten lag, begannen wir wieder zu laufen, bis Mandy ins Gehen überging. Sobald sie wieder anlief, folgten wir. Das wiederholte sich gefühlt zehnmal bis zum Ferchensee. Dort hätten wir uns alle am liebsten in den See gestürzt – immerhin habe ich meine Arme darin gekühlt.

VP  7 (Schloss Elmau) – VP 8 (Laubhütte) | Distanz: 14 km | Aufstieg 710 m | Abstieg 740 m | Gesamtzeit: 9:58 h

Schloss Elmau war ein Wendepunkt im Rennen. Nach einer längeren Pause, inklusive einer erfrischenden Dusche unter einem Feuerwehrschlauch, sagte mir der letzte verbliebene Mann aus unserer Mini-Laufgruppe kurz nach dem Weiterlaufen, dass ihn neben der Hitze auch noch Magenprobleme zu sehr zusetzten und ich in meinem eigenen Tempo weiterlaufen solle. Laufen bei fast 20 % Steigung – guter Witz. Im Nachhinein war es gut, dass ich vorgelaufen bin – gemeinsam hätten wir das Zeitlimit an der Laubhütte wohl nicht mehr geschafft. Leider habe ich später in der Ergebnisliste gesehen, dass er das Rennen nicht beendet hat. Nach schon 10 Stunden auf den Beinen, hatte ich gerade einmal 15 Minuten Puffer. Aber es kam noch eine Nachricht, über die ich mich, aber auch viele andere Läufer sehr gefreut haben: „Aufgrund akuter Gewittergefahr werden ab sofort alle Teilnehmer nach dem Aufstieg von der V8 zur Zegapa Cheering Zone von dort direkt runter zur V10 und ins Ziel laufen“. 

VP  8 (Laubhütte) – VP 10 (Tröglift) | Distanz: 14 km | Aufstieg 660 m | Abstieg 320 m | Gesamtzeit: 12:10 h

Im Gegensatz zu einigen anderen Läufer:innen hatte ich an dieser VP keinen mentalen Tiefpunkt. Im Gegenteil, gut gelaunt, gestärkt und voller Motivation ging es nun hoch zum Kreuzeck, zur Zegapa Cheering Zone. Nach 660 Höhenmetern, 40 bis 50 Spitzkehren und einem Wiedersehen mit Jens, mit dem ich zuvor einige KM zusammengelaufen war (seine Eltern kamen uns zum Anfeuern auf dem Fahrrad entgegen), war sie endlich da – die Cheering Zone, die man schon von Weitem hört. Ihr seid einfach mega! Da uns die Schleife über den Osterfelderkopf (ca. 6 km mit 400 hm rauf und runter) samt der VP 9 (Hochalm) erspart blieb, habe ich leider auch die inoffizielle VP Schnaps kurz vor dem Downhill nach dem Osterfelderkopf verpasst. Aber dadurch, dass VP 9 wegfiel, hatten alle Läufer:innen die noch auf der Strecke waren nun noch zwei Stunden mehr Zeit bis zum nächsten Cut-Off. Statt zu laufen habe ich mich den ‚Wanderern‘ angeschlossen.

VP 10 (Tröglift) – Ziel | Distanz: 8 km | Aufstieg 0 m | Abstieg 630 m | Gesamtzeit: 13:27:46 h

An der letzten VP wurden ein letztes Mal die Flask‘s aufgefüllt, die Stöcke im Köcher verstaut, die Schuhe noch einmal geschnürt, ein frisches Laufshirt angezogen und da die Dämmerung bereits einsetzte, die Stirnlampe aufgesetzt. Meiner Frau hatte ich zuvor meine ungefähre Ankunftszeit mitgeteilt – und den Wunsch geäußert, dass eine Pizza Salami mit doppelt Käse in der Unterkunft auf mich warten möge.

Diesen letzten Streckenabschnitt absolvierte ich gemeinsam mit Kerstin. Auch sie ist eine Wiederholungstäterin und – wie ich – im Vorjahr den Mittenwald Trail gelaufen. Aufgrund von Knieproblemen konnte sie nicht mehr laufen, und mir war ebenfalls nicht mehr danach. Also gingen wir im Stechschritt die letzten 8 Kilometer bergab. Erstaunlicherweise konnten wir dabei noch acht Plätze gutmachen und haben uns somit in die Top 300 geschoben.

Einen Kilometer vor dem Ziel rief ich meine Tochter an, damit sie sich bereithält – denn meine größte Motivation war es, gemeinsam mit ihr über die Ziellinie zu laufen.

Fazit:
Auch wenn das Streckenprofil zwischen den beiden großen Anstiegen eher „wellig“ erscheint – der Eindruck täuscht. Spätestens der Aufstieg aus der Partnachklamm zur gleichnamigen Alm bringt die Oberschenkel noch einmal ordentlich zum Brennen.

Die Veranstaltung war hervorragend organisiert. Sechs bzw. zehn Verpflegungsstationen versorgten die Läufer:innen mit ausreichend Motivation, Nahrung und Getränken. Zudem sorgte ein medizinisches Team an zwei VPs für die Sicherheit der Läufer:innen.

Der ZUT ist ein absolutes Muss für (angehende) Trail-Läufer:innen – ein echtes Spektakel mit Festivalstimmung, das (fast) durchgehend von Donnerstag bis Sonntagmorgen um 1 Uhr im Herzen Garmisch andauert.

Save the Date: ZUT 2026 vom 18. bis 20. Juni – ich weiß nicht, was ihr da macht, aber ich bin wieder beim ZUT dabei – ganz gleich auf welcher Strecke.

Vielleicht sieht man sich.

Euer Holger

 

Falls ihr noch mehr Motivation braucht, diese Videos & Podcast kann ich euch sehr ans Herz legen: