Seine Liebe gilt dem Meer, ob als Extremschwimmer oder Meeresbotschafter. Die Rede ist von André Wiersig. Ein stiller Star, der mehr verdient hätte – meiner Meinung nach – als nur ein Eintrag ins Goldene Buch seiner Heimatstadt. Er ist der Neptun der Meere und gehört als einzig Deutscher zum Club der Ocean’s Seven.

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Vor dem Projektstart Ocean’s Seven – hast Du Stephen Redmond angerufen und Dich mit ihm ausgetauscht?
Nein, das habe ich nicht getan. Ich habe aber natürlich schon versucht, alle Bücher zu diesem Thema zu lesen und mich zu informieren. Ich kam aber schnell zu dem Punkt, dass ich merkte, dass es niemanden in der Community Ocean’s Seven mit Vollzeitjob und Familie gab. Also musste ich mir dann mehr oder weniger selbst meine eigene Methode entwickeln.

2014 bist Du mit dem Ärmelkanal anfangen; 2019 stand die letzte Meeresenge auf dem Programm: die Straße von Gibraltar. Wie hat sich Deine Vorgehensweise in dieser Zeit verändert?
Im Laufe der Zeit habe ich natürlich viele Erfahrungen gesammelt und zig Sachen ausprobiert. Ich wurde immer effizierter, besonders auch in Bezug auf mein Training. Lustige Schwimmeinheiten mit Freunden fielen dann natürlich irgendwann auch flach. Ich hatte auch viele Rückschläge und habe zum Beispiel allein 1000 Euro für Schwimmbrillen ausgeben, um zu gucken, welche am besten funktioniert.

Warum trägst Du eigentlich eine Badekappe? Ist das wirklich ein Wärmeschutz?
Doch, doch. Den North Channel zu durchqueren ist schon riskant, doch zusätzlich ohne Kappe wäre lebensgefährlich und pure Unvernunft.

Foto: Dennis Daletzki / Andrè Wiersig 2019 in Neuseeland

Sind das besonders dicke Badekappen gegen Wärmeverlust?
Ich habe immer nur normale Silikonbadekappen getragen. Es gibt auch Neoprenkappen. Die habe ich auch getestet, sind aber, glaube ich, laut dem Ehrenkodex „Oceans Seven“ nicht erlaubt.

Bevor Du ins Wasser steigen: Betest Du?
Nein, nein. Ich bin zum Glück ein ziemlich unaufgeregter Typ und war und bin immer im Einklang mit mir. Ich habe keine Rituale oder höre Musik oder so. Bin ich im Wasser, bin ich mitten in der Natur und versuche möglichst schnell den Übergang hinzukriegen und eine Einheit mit dem Meer zu werden.

Mit dem Wasser eine Einheit zu werden. Ist das vergleichbar mit dem Flow beim Ausdauersport?
Nein, man darf sich das nicht wie beim Laufen vorstellen. Ich habe ja auch lange Zeit Triathlon gemacht. Da gibt es den Flow. Aber draußen im Meer gibt es das nicht. Ich kann da nicht einen Dreierzug schwimmen oder so. Das Meer gibt mir den Rhythmus vor. Ich habe immer versucht, mit dem Meer zu schwimmen und mich von der Erwartung zu lösen, gleich atmen zu können. Wenn Wellen von der Seite kommen, kann man manchmal acht oder zehn Züge lang keine Luft holen. Ich habe mich dahin gebracht, dass es auch nicht schlimm ist, wenn ich mal nicht atmen kann.

Was magst Du denn lieber? Hohe Wellen oder glatte See?
Ich mag es, wenn es richtig wild ist. Ich schwimme gerne in hohen Wellen. Man muss aber auch sagen, dass hohe Wellen es natürlich schwer machen, von A nach B zu kommen. Aber ich hatte immer extrem viel Spaß, wenn da draußen die Post abging. Wenn ich rüber zum Begleitschiff guckte und sah, wie der komplette Rumpf rausragte. (lacht)

Jetzt, nachdem Du die Ocean ’s Seven geschafft hast, rennen Sponsoren Dir die Tür ein?
Nein, null. Gar nicht.

Das ist kaum vorstellbar.
Doch. Das ist ein ganz schwieriges Thema. Ich habe mich auch oft darüber aufgeregt und war wütend. Inzwischen habe ich aber damit meinen Frieden gefunden. Ich suche natürlich immer noch Sponsoren zu gewinnen. Ein Sponsor würde ja schon reichen. Aber es ist wie es ist. Anfragen kommen nur selten rein.

Ich denke gerade an die großen Schwimmer wie Franziska von Almsick oder Michael Groß, die von den Medien gehypt wurden. Macht es Dich nicht traurig, dass andere Schwimmer aufs Podest gehoben werden und Du trotz Deiner Riesenleistung eher leer ausgehst?
Jein. Klar, ich freue mich, wenn über mich berichtet wird. Das passiert ja auch. Auf der anderen Seite habe ich es nie dafür gemacht.

Dein Hörbuch „Ein Mann des Meeres“ stand auf der HR2 Bestenlisten 10/20  auf Platz 1
Richtig. Das ist riesig und ich fühle mich wirklich sehr geehrt.

Wurde in Paderborn eine Straße nach Dir benannt?
In Australien hätte man das vermutlich schon längst getan. Doch ich lebe in Deutschland – und gern. Ins Goldene Buch von Paderborn durfte ich mich eintragen, aber sonst ist nicht viel passiert. In Zürich habe ich zum Beispiel mehr Bücher von mir verkauft als in meiner Heimatstadt. Anfangs war ich echt traurig darüber. Aber jetzt kann ich nur noch darüber lachen.

Wie ist es mit der Ehrung „Sportler des Jahres“?
Auch Fehlanzeige!

Kommst Du noch mit normalen Menschen klar oder triffst Du dich lieber mit Gleichgesinnten?

Ich werde oft mit dem Bergsteiger Reinhold Messner verglichen, worauf ich total stolz bin. Natürlich wäre es großartig, mich mal mit ihm zu unterhalten. Aber ich bin aufgrund meines Projektes nicht abgehoben und geerdet. Ich halte mich wirklich für normal. Sicherlich habe ich ein ungewöhnliches Hobby, aber das war es dann auch schon.

Hast Du denn mit Messner mal telefoniert?
Nein, aber Messner hat ein Buch bei mir bestellt. Natürlich habe ich dann auch etwas in sein Buch geschrieben. Gemeldet hat er sich aber noch nicht.

Kommt bestimmt noch. Der Weiße Hai oder Flipper: Sind das Filme, die Du als Kind gerne gesehen haben?
Nee, Jacques Cousteau war mein Highlight, auch Bücher von Hans Hass.

Du liebst das Meer – wie wäre es mit Apnoetauchen?
Mach ich schon. 25 Meter reichen mir aber schon.

Lass mich raten, Du bist sicherlich Nichtraucher?
Nicht ganz. Ganz selten rauche ich auch mal einen Zigarillo. Es gibt viele im Triathlon, die off-Season rauchen oder Alkohol trinken. Asketisch leben, sich super wichtig nehmen und einen Riesenfilm daraus machen, kann man machen – ist aber nicht mein Ding.

Ist mit Deinem sportlichen Erfolg auch Dein beruflicher Erfolg gestiegen?
In Zahlen, nein. Aber vielleicht insofern, dass die Erfahrungen im Wasser mir helfen, an Land eine andere und bessere Einstellung zu den Dingen bekommen. Definiert man Zufriedenheit als Erfolg, wenn man das so sieht, dann bin ich erfolgreicher geworden. 

Wie lange brauchst Du nach einer Durchquerung, um Dich körperlich davon zu erholen? Zwei Tage durchschlafen?
Im Gegenteil. Nach Japan war ich eine Woche wach. Ich musste auch zum Arzt, um wieder runterzukommen. Damals hätte ich vielleicht mal abbrechen sollen. Aufgeben ist manchmal viel stärker als alles durchzuziehen. Zurück zur Frage. Der Körper braucht Zeit, sich zu erholen, doch es ist eher eine mentale Regeneration. Ich musste erstmal im Kopf verarbeiten, was ich da geschafft habe.

Welchen Ruhepuls hast Du?
Ziemlich wenig. Ich habe so ein riesiges Pumpvolumen. Mein Arzt sagt immer, dass ist total irre. Ich bin verdammt dazu, immer in Bewegung zu bleiben. Wie ein Hai, der kann mit seinen Kiemen auch nicht stehen bleiben kann. Damit kann ich aber gut umgehen.

Autorin: Sabine Roters
Weitere Infos.

Verlosung
Unter allen Teilnehmenden, die bis zum 25.10.2020 (24.00 Uhr) die richtige Antwort auf die folgende Frage an die Email redaktion@muensteraktiv.de schicken, werden zwei seiner Hörbücher „Ein Mann des Meeres“ verlost. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen!

Frage: Wie lauten die sieben Meeresengen, die André Wiersig durchschwommen hat?

Foto: Dennis Daletzki / Andrè Wiersig 2019 in Japan