Profiradsportler Simon Geschke ist gelungen, was vor ihm noch kein deutscher Radprofi geschafft hat: Bei der Tour de France 2022 sicherte sich der 36-jährige die Führung der Bergwertung, die er bis zur 18. Etappe verteidigen konnte. Wie sehr es ihn wurmt, die Bergwertung haarscharf nicht gewonnen zu haben, wie eine gute Regeneration gelingt und welchen Vorurteile der überzeugte Veganer begegnet, verrät Simon Geschke im Interview mit Münster aktiv.
Bei der Deutschlandtour konntest Du in diesem Jahr nicht ganz vorne mitfahren, die Rennen stecken dir bestimmt noch in den Knochen – was war dein Eindruck von der Tour?
Simon: Die Deutschlandtour ist für mich immer ein Jahreshöhepunkt. Es ist zwar nicht das größte Rennen, aber für mich ein Heimspiel. In diesem Jahr bin ich allerdings aus der Tour de France nicht ganz fit zurückgekommen und auch die Tour selbst war natürlich sehr intensiv. Zu allem Übel kam dann auf der Anreise zur Deutschlandtour auch noch ein Magen-Darm-Infekt dazu und am Tag vor dem Start ein Sturz im Training – ich war also einfach nicht in Topform. Mein Ziel, es in die Top 10 zu schaffen, habe ich leider nicht erreicht. Aber ich habe versucht, das Beste draus zu machen.
Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie müde sind Deine Beine nach so einer Tour?
Simon: Im Moment würde ich sagen: eine fünf, also die goldene Mitte. Ich kann zwar schon wieder Akzente setzen, hoffe aber auch, dass ich mich bis zum Ende der Saison noch weiter erhole. Ich fahre noch bis Mitte Oktober Rennen, auch ein paar große, schwierige. Ich hoffe, dass es noch etwas besser wird.
Hast du ein Geheimrezept, für eine gute Erholung nach der Saison oder auch zwischen den Rennen?
Simon: Gerade die Erholung zwischendurch ist ganz wichtig. Sicher spielt das Training an sich da eine wichtige Rolle, aber eben auch alles, was außerhalb des Trainings liegt. Eine gesunde Ernährung und genügend Schlaf sind für mich die wichtigsten Pfeiler für eine gute Regeneration.
Du hast ja für die laufende Saison noch einige Rennen vor dir. Als Münsteranerin interessiert mich natürlich, ob auch der Sparkassen Münsterland Giro am 3. Oktober auf deiner Liste steht?
Simon: Das wird leider nichts. Der Giro in Münster läuft zeitgleich mit einem anderen Ein-Tages-Rennen in Italien, das mir von der Strecke her mehr liegt. Das ist dann auch eine Entscheidung des Teams, dort anzutreten. Aus sportlicher Sicht ist der Giro in Münster als Sprinter-Rennen für mich nicht so sinnvoll wie das Rennen in Italien.
Sprechen wir über die Tour de France. Wie sehr ärgert es dich, dass es mit dem Bergtrikot so knapp nicht geklappt hat? Oder nervt diese Frage mittlerweile nur noch?
Simon: Die Frage ist auf jeden Fall berechtigt. Ich hatte mir große Ziele gesteckt und wollte die Bergwertung auf jeden Fall gewinnen. Es hat sich dann ja auch abgezeichnet, dass ich realistische Chancen habe, es mit dem Trikot bis nach Paris zu schaffen. Das wäre natürlich historisch gewesen, es hat noch nie ein Deutscher die Bergwertung gewonnen. Ich habe jeden Tag für das Trikot gekämpft, das wäre für mich und das Team eine riesen Sache gewesen. Umso enttäuschter war ich, dass es dann am Ende doch nicht ganz gereicht hat. Das Trikot überhaupt neun Tage zu tragen, war für mich aber schon eine große Sache. Und mit meiner Leistung bin ich trotzdem sehr zufrieden.
Du lebst vegan. Musstest Du dir deswegen blöde Sprüche anhören? Im Sinne von: Hättest Du eben besser mal ein Steak gegessen?
Simon: Ja, solche Sprüche gibt’s manchmal schon. Allerdings nicht aus meinem direkten Umfeld und auch eher selten. Das sind dann eher mal Kommentare bei Social Media. Das nehme ich nicht zu ernst.
Und wo hängt jetzt das Bergtrikot?
Simon: Es hängt noch gar nicht (lacht). Ein paar der Trikots werde ich auf jeden Fall behalten und den Rest verschenken, an das Team, meinen Trainer und so weiter.
Bei der Tour de France war es auch in diesem Jahr wieder wahnsinnig heiß. Da denkt man schnell an das Thema Klimawandel. Was können Veranstalter deiner Meinung nach in Sachen Nachhaltigkeit verbessern?
Simon: Das ist ein sehr großes Thema. Und es hat sich auch schon ein bisschen was getan. Zum Beispiel gibt es jetzt die sogenannten Green Zones, in denen man seinen Abfall umweltgerecht loswird. Aber seien wir ehrlich: Die Tour de France ist alles andere als klimaneutral, wie quasi jede Großveranstaltung. Ein wichtiger Schritt wäre es sicherlich, mehr auf Elektromobilität zu setzen. Jedes der 23 Teams reist ja mit Bus und Team-LKW an, da entsteht jeden Tag wahnsinnig viel Verkehr rund um die Hotels und die Strecken. Dazu die Presseautos, die Werbekarawane, die Fahrzeuge, die das Rennen begleiten – wenn die alle elektrisch unterwegs wären, wäre schon viel gewonnen. Und dann kann sich natürlich jeder nach dem eigenen Beitrag fragen. Ich zum Beispiel lebe vegan. Das ist für mich Klimaschutz, für den ich mich nicht wirklich einschränken muss. Als Sportler beschäftige ich mich natürlich sehr genau mit meiner Ernährung und bin ursprünglich aus gesundheitlichen Gründen zum Veganismus gekommen. Mit der Zeit ist mir dann immer klarer geworden, wie viel eine vegane Lebensweise aber auch für den Tier- und Klimaschutz bringt.
Wenn Du einen Wunsch frei hättest, was sollte sich im Profiradsport ändern?
Simon: Als erstes würde ich natürlich die Stürze abschaffen, aber das ist wohl eher unrealistisch (lacht). Es gibt bisher noch keine richtige Fahrervereinigung. Ich würde mir wünschen, dass die Fahrer mehr Mitspracherecht haben. Die Machtverteilung im Radsport ist im Moment ziemlich einseitig und liegt vor allem beim Weltverband und bei den Rennveranstaltern. Die Teams und die Fahrer haben aber eher wenig zu sagen und geraten schnell unter Druck.
Noch eine Frage zum Schluss: Hast du in diesem Jahr auch die Tour de France der Frauen verfolgt?
A10: Ja, auf jeden Fall. Das war ja eine historische Austragung. Und soweit ich im Bilde bin, waren auch die Zuschauerzahlen extrem gut, sodass wohl auch im nächsten Jahr die Frauen wieder an den Start gehen.
P.S. laut Simon war die Flasche auf dem Foto verschlossen
Foto: Fabian Wegmann
Text: Viola Grötz / Sabine Roters