„Viele Migrantinnen durften das Fahrradfahren in ihren Heimatländern nicht erlernen. Hier in Deutschland aber würde es ihren Alltag erleichtern. Mobilität ist die Voraussetzung für die Teilhabe an der Gesellschaft“, erklärt Anna Oestreich. Gemeinsam mit Mirjam Bauer hat sie das Projekt „Fahrradzeit“ entwickelt – eine Initiative, die sie durch eine App unterstützen. Die App vernetzt Migrantinnen mit Freiwilligen, damit sie in einem achtwöchigen Programm in Theorie und Praxis das Fahrradfahren erlernen und gemeinsam üben können.
„Fahrradzeit“ ist eins von acht Konzepten, die Studierende am Fachbereich Design der FH Münster, der Münster School of Design (MSD), im Kurs „Stadtradeln“ bei Prof. Carolin Schreiber entwickelt haben. „Ich habe das Projekt bewusst ergebnisoffen gehalten“, sagt die Hochschullehrerin für Produktdesign. Ihre einzige Bedingung: Die Teams sollten sich Co-Designer*innen suchen. „Der Sinn dahinter ist, den Menschen mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt zu stellen“, sagt Schreiber.
Oestreich und Bauer haben dafür in Melle zwei junge Frauen aus Syrien und von der Elfenbeinküste gewonnen – um ihre Wünsche zu erfahren und die beste Lösung für die Gestaltung zu finden. „Mithilfe der App werden wöchentliche Treffen organisiert, gemeinsam absolviert ein Tandemteam die Übungen – das Fahrrad stellen die Freiwilligen zur Verfügung. Um die Kinder der Frauen in die Treffen einzubeziehen, schlägt die App geeignete Orte wie Spiel- oder Sportplätze vor“, erklärt Oestreich. „Wir haben versucht, die App möglichst klar und reduziert zu gestalten – kurze Texte, Illustrationen und fröhliche Farben waren das A und O. Man soll auf den ersten Blick sehen, wie viel Spaß wir und die Frauen im Projekt hatten. Deshalb würden wir uns wünschen, irgendwann die Möglichkeit zu haben, die Initiative zu realisieren.“
Die 24-jährige Basma und die zwei Jahre jüngere Bintou seien „total motiviert gewesen, das Fahrradfahren zu erlernen“, ergänzt Bauer. „Es fehlte ihnen nur der Zugang zu einem Fahrrad und eine Person, die sie an die Hand nimmt.“ Was die beiden Studentinnen in ihrem Projekt erprobt haben, würde die App auch flächendeckend lösen können, über Melle hinaus. „Am Ende haben die Frauen sogar Herausforderungen gemeistert, wie etwa mit einem Handzeichen abzubiegen. Auch die Angst vor der Menge an Verkehrsregeln konnten wir ihnen Woche für Woche nehmen.“ Basma jedenfalls würde sich freuen, wenn die Initiative samt App umgesetzt wird und viele Migrantinnen die Möglichkeit erhalten, das Fahrradfahren zu lernen.
Auch die anderen zukünftigen Designer*innen präsentierten zum Kursabschluss kreative und praxisnahe Ideen, die allesamt in enger Kooperation mit ihren Co-Designer*innen entstanden sind: beispielsweise „Doppelrad“, ein Tandemfahrradverleih in Zusammenarbeit mit einem Paar, bei dem die Frau nahezu erblindet ist, und „Kreatives Fahren“, ein familienfreundliches Konzept für Lastenräder, sowie die „Espresso Raketo“, die aus einer Radtour eine echte Kaffeefahrt macht.
„Für uns war das Projekt eine Herausforderung. Es hat uns aus der Komfortzone und der eigenen Blase gelockt“, so das Fazit der Studentin Oestreich. Und die Professorin Schreiber wurde in ihrem Co-Designer*innen-Konzept bestätigt. „Ich finde es besonders zielführend, wenn Gestaltung aus einem menschenzentrierten Prozess resultiert.“
Quelle: FH MS