Mit dem Thema sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen will niemand in Zusammenhang gebracht werden. Doch seit dem letzten Sommer taucht der Name der Stadt Münster öfter in den Medien auf, nachdem die schweren Fälle von sexuellem Missbrauch in einer Gartenlaube in Kinderhaus an die Öffentlichkeit gelangen. Ganz Münster stand damals unter Schock. Inzwischen ist ein halbes Jahr vergangen und das Gerichtsverfahren gegen die mutmaßlichen Täter läuft. Was ist seither noch passiert? Wie kann ein solches Ereignis aufgearbeitet werden? Welche Pläne gibt es, um die Menschen in Münster zu sensibilisieren und Präventionskonzepte zu entwickeln? Ein Anknüpfungspunkt ist der Sport.

Münster aktiv im Gespräch mit Jörg Verhoeven, stellvertretender Vorsitzender des Stadtsportbund Münster. Im Hauptberuf Leiter des Hochschulsports Münster der WWU.

MSA: Zu den wichtigen Aufgaben, für die sich der SSB in Münster einsetzt, gehört die Prävention sexualisierter Gewalt im Sport. Gibt es Zahlen für Münster?

Verhoeven
Konkrete Zahlen liegen uns für Münster nicht vor und die wissenschaftliche Erhebung aus Wuppertal und Ulm liefert Zahlen zum Breitensport erst im Herbst. Dennoch wissen wir
um hohe Dunkelziffern und sind uns sehr bewusst, dass wir handeln müssen, um unsere Vereine für das Thema zu sensibleren und fit für die Praxis zu machen. Nach Untersuchungen im Leistungssport (Prof. Bettina Rulofs, Bergische Universität Wuppertal) müssen wir davon ausgehen, dass rund 30% der Kinder und Jugendlichen sexualisierte Gewalt erfahren haben.

MSA: „Von anderen Betroffenen lernen“ – Sexualisierte Gewalt im Sport ist ein großes Tabu. Gibt es dennoch prominente Fälle, die sich dazu öffentlich äußern?

Verhoeven
Interessant war kürzlich der TV-Bericht über die Boxerin Cansu Cak, der die unterschiedlichen Facetten sexualisierter Gewalt im Sport sehr anschaulich dargestellt hat. Im Leistungssport ist die Machtposition der Trainerinnen und Trainer gegenüber ihren Athlet*innen ein besonders Thema, das in Risikoanalysen immer wieder auftaucht. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass dieses Thema schnell in Angriff genommen wird und dabei helfen natürlich auch Fälle prominenter Sportlerinnen und Sportler.

MSA: Welcher Bereich ist denn mehr betroffen, der Leistungs- oder Breitensport?

Verhoeven
Die ersten Befunde lassen wegen des größeren Abhängigkeitsverhältnisses Trainer*innen Athleth*innen stark vermuten, dass der Leistungssport stärker betroffen ist. Und die Unterschiede in diesen Bereichen veranlassen uns im SSB notwendige Maßnahmen zur Prävention sehr differenziert zu entwickeln.

Jörg Verhoeven

Foto: SSB / Jörg Verhoeven

MSA: Warum nimmt sich der SSB so engagiert diesem Thema an?

Verhoeven
In den 200 Sportvereinen, die der SSB als Dachorganisation vertritt sind rund 27.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Die sollen sich in den Vereinen sicher fühlen, bestmöglich betreut werden und ihre Rechte kennen. Natürlich ist das in ganz vielen Fällen gegeben und unsere Vereine leisten gute Arbeit! Dennoch möchten wir für das Thema sensibilisieren, die Vereine handlungssicher machen, Strukturen schaffen und zielgruppenspezifische Schulungen durchführen.

Ein weiterer Grund ist, dass sich Sport-Dachverbände wie die DSJ und der DOSB schon früh dem Thema angenommen und gute Konzepte entwickelt haben. Die Sportjugend im SSB ist sehr engagiert und hat durch Schulungen schon sehr konkrete Präventionsarbeit geleistet.

MSA: Mit welchen Maßnahmen will der SSB zukünftig junge Menschen vor sexualisierter Gewalt im Sport schützen?

Verhoeven
Einen Teil unserer Maßnahmen habe ich ja grade schon ausgeführt. Dazu sollen öffentlichkeitswirksame Aktivitäten bei allen SSB-Veranstaltungen kommen, ein Bereich auf der SSB-Homepage geschaffen werden, Ansprechpersonen ausgebildet werden, die kompetent Notfallmanagement leisten können. Dazu möchten wir Netzwerke aufbauen z. B. mit dem Kinderschutzbund, dem Jugendamt oder mit dem Landessportbund NRW.

MSA: Wann wird mit der Umsetzung des Maßnahmenpakets begonnen?

Verhoeven
Wir sind bei einigen Aspekten, wie zum Beispiel der Entwicklung von Schulungsunterlagen und -formaten schon recht weit, unser Konzept, das wir in der Projektgruppe entwickelt haben, steht. In wenigen Wochen wären wir also startklar. Nur wird leider die Netzwerkarbeit aufgrund der Coronaschutzverordnung etwas erschwert.

MSA: Kann man Kernstücke des Maßnahmenpakets benennen?

Verhoeven
Im Grunde geht es um ein ganzes Paket an Maßnahmen, wo alle Bausteine bedeutsam sind. Wir sind aber sicher, dass zielgruppenspezifische Schulungen besonders erfolgsversprechend sind. Wenn wir also Übungsleitende schulen, die mit jungen Menschen arbeiten, braucht es einen anderen Zugriff und etwas andere Inhalte, als wenn wir z. B. mit Vereinsvorständen arbeiten. Ein funktionierendes Netzwerk und gute Zusammenarbeit aller Beteiligten ist ein weiteres wesentliches Kernstück.

MSA: Wer soll in Münster zum Netzwerk PSG gehören?

Verhoeven
Wir führen Gespräche mit dem Kinderschutzbund und Zartbitter , das Jugendamt ist ein wichtiger Partner, auch wollen wir den Leistungssport einbeziehen, dieser Prozess ist aber noch nicht beendet.

MSA: Welche Kosten entstehen? Wer übernimmt die Kosten?

Verhoeven
Wenn wir die Schulungen konsequent und zügig angehen, die Informationsmaterialien entwickeln und pflegen, Ansprechpersonen ausbilden und einsetzen, kostet das Ressourcen, die wir in der SSB-Geschäftsstelle nicht haben. Auch im Ehrenamt lässt sich das nicht vollständig auffangen. Daher müssen wir um Finanzierungen ringen. Die tatsächlichen Kosten hängen ab vom Umfang der Maßnahmen und der Geschwindigkeit der Umsetzung.

MSA: Welche Hemmnisse gibt es? Haben die Politiker in Münster schon grünes Licht gegeben?

Verhoeven:
Ja, die Ampel steht schon auf gelb. Die Beratungen mit der Stadt und der Politik laufen intensiv und ich bin maximal gespannt
, wie diese ausgehen. Davon hängt ja ab, wann wir aktiv werden können und uns mit der notwendigen Power diesen vielfältigen, wichtigen Aufgaben widmen können.

MSA: Wird es einen Schirmherrn/frau? geben?

Verhoeven
Das ist eine gute Idee. Ich hätte spontan auch ein zwei Ideen, die aber noch nicht verraten werden.