Ein Gespräch mit Michael Groß – Deutschlands erfolgreichster Schwimmsportler: 21 Titelgewinne bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften und 39 Medaillen bei internationalen Meisterschaften. Groß stellte 12 Weltrekorde auf.
Gibt es noch Kontakt zu den damaligen Weggefährten?
Klar, logisch. Auch international geht das inzwischen sehr gut über Facebook. Ich telefoniere oft mit den Teamkameraden aus der damaligen Nationalmannschaft und 2014 gab es sogar eine Art Klassentreffen mit der Olympiamannschaft 1984.
Abgesehen von Ihrer imposanten Armspannweite von 213 cm – was war damals Ihr Erfolgsrezept?
Es gibt kein Erfolgsrezept. Meine Spannweite war zwar ideal, doch ohne die korrekte Technik und die entsprechende Muskulatur wäre ich nicht weit gekommen. Es sind immer mehrere Faktoren, die zusammenspielen müssen. Thomas Alva Edison hat gesagt, Erfolg ist 1 % Inspiration und 99 % Transpiration – und das ist auch wissenschaftlich belegbar. Es wurde mal gefragt: Was eint alle vermeintlich genialen Menschen aus Sport, Kunst, Wissenschaft und Kultur – und das ist üben, üben, üben. Im Sport muss man zusätzlich auf den Punkt da sein und die Leistung abrufen können. Es gibt viele Trainingsweltmeister, die im Wettkampf nicht punkten können.
Womit hängt das zusammen?
Pauschal kann man sagen, dass oft Selbstzweifel und Ängste dabei eine Rolle spielen. Aber jeder Fall ist anders gelagert.
Welche Faktoren spielen noch eine Rolle?
Das persönliche Umfeld muss natürlich stimmen. Gerade in der Jugend müssen die Eltern hinter den Kindern stehen, mental und auch ganz praktisch gesehen. Das heißt Fahrdienste übernehmen und den Alltag organisieren.
Wie Sie schon sagten, um erfolgreich zu sein, muss man üben, üben, üben. Demnach haben Sie schon viele Kacheln in Ihrem Leben gezählt, oder?
Nein, überhaupt nicht. Hätte ich die Kacheln gezählt, wäre ich kein erfolgreicher Schwimmer geworden. Ich hatte Spaß am Schwimmen und jedes Training war anders. Wird ein Hobby zur Qual, sollte man aufhören. Das gilt übrigens für jeden Job. Quält man sich jeden Tag ins Büro, braucht man eine Veränderung, selbst wenn man erfolgreich ist.
1991 haben Sie Ihre Karriere beendet.
Ja, genau aus diesem Grund. Im Sport sollte man aufhören, wenn man alles erlebt hat. So habe ich 1991 meine Badehose nach den Weltmeisterschaften an den Nagel gehängt, weil mein Erlebnishorizont aufgebraucht war. Ich hatte alles erlebt, was ich wollte und sah keinen Sinn mehr darin, ein Jahr später an den Olympischen Spielen in Barcelona teilzunehmen.
Woran erkennt man einen guten Schwimmer im Wasser?
An der Wasserlage. Die Kunst besteht darin, den Widerstand des Wassers als Vortrieb zu nutzen. Dafür sollte man ein gutes Gefühl für Wasser haben. Auch die Körpergröße spielt eine gewisse Rolle. In der Regel sind Frauen nicht kleiner als 1,70 Meter, Männer selten unter 1,80 Meter tendenziell sogar 1,90 Meter.
Das Gefühl fürs Wasser kann man aber niemanden beibringen.
Stimmt, das heißt aber nicht, dass man mit wenig Talent nicht erfolgreich sein kann. Man muss eben üben, üben, üben.
Seit Ihrem Karriereende 1991 sind fast 30 Jahre vergangen. Heute sind Sie Unternehmer und arbeiten als Redner und Trainer, Autor und Dozent.
Junge Sportler würden sicherlich gerne von Ihrem Erfahrungsschatz profitieren – doch der Sportwelt haben Sie den Rücken gekehrt.
Das war nie ein Thema. Die Epoche ist einfach vorbei. Ich hatte nie daran Interesse, als Trainer am Beckenrand zu stehen oder speziell Schwimmer mental zu coachen.
Es gibt Profisportler, die nach ihrer Karriere aus dem Leim gehen. Sie sind immer noch rank und schlank. Wie halten Sie sich fit?
Das hat nichts mit dem Alter zu tun. Ich gehe dreimal in der Woche ins Fitnessstudio und trainiere meine Muskulatur und die Ausdauer. Im Sommer setze ich mich gerne auch mal auf das Mountainbike und im Winter schnappe ich mir das Snowboard. Die Mischung macht es. Das war schon so in meiner aktiven Zeit als Sportler. Das Training bestand nie nur aus Schwimmen, wir haben auch Fußball oder Basketball gespielt, sind laufen gegangen. Körperlich und geistig einseitig zu agieren, ist immer ein Nachteil.
Gab es Rituale vor den Wettkämpfen?
Nein, es gab zwar gewisse Notwendigkeiten und praktische Abläufe, die umgesetzt werden mussten. Auch hatte ich Wettkampfbadehosen, die wenig Wasser fingen, aber das waren in dem Sinne keine Rituale.
Sie waren Mitglied der Anti-Doping Kommission beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR) – wie kam es denn dazu?
Damals war ich im NOK (Nationales Olympisches Komitee für Deutschland) und der BDR suchte neutrale unabhängige Leute, die kritisch mit dem Dopingthema umgehen konnten. Doch es gab keinen höheren Sinn dahinter und man merkte schnell, dass unser Mandat keine Resultate erzielen konnte.
Sind Sie heute noch dem Radsport verbunden, wie zum Beispiel dem Radsportevent Eschborn-Frankfurt?
Ja, definitiv. Zwar nur indirekt, aber die fahren jedes Jahr an meiner Haustür vorbei.
Sie sind Autor und haben fünf Bücher veröffentlicht. Das sechste Buch ist just auf dem Markt: „Das Beste liegt vor uns“.
Ja, mein Buch eröffnet neue Perspektiven und zeigt auf, wie wir neue Energie für unser Leben gewinnen können. Fest steht, dass die Zukunft mehr bietet als wir brauchen: Im Leben geht es nicht immer um Selbstoptimierung und darum, immer mehr erreichen zu müssen. Es geht darum, Gelassenheit zu entwickeln und raus aus dem Hamsterrad zu kommen. Zum Beispiel, sich Zeit frei zu verplanen, ohne Leistungsanspruch, und einfach zu gucken, was sich daraus entwickeln kann.
Corona ist auch ein Thema in Ihrem Buch.
Natürlich. Denn besonders Krisen eignen sich – nach dem Verdauen des ersten Schocks – dafür, sich zu fokussieren und Perspektiven zu bekommen, die im Normalfall verborgen sind.
Wurden Sie durch die Coronakrise ausgebremst?
Wir haben auch 80% Verlust. Zwar machen wir Online-Trainings, aber die sind kein Ersatz für reale Trainings. Einige Großprojekte wurden verschoben, da viele Firmen ihr Geld zusammenhalten. So gesehen bleibt es durchaus spannend.
Silvester 2020. Welchen Vorsatz haben Sie bis jetzt eingehalten?
Das ist nicht so mein Ding. Es gibt täglich neue Chancen und gleichzeitig entpuppen sich andere Dinge als Makulatur. Die Jahreszahl 2020 fand ich zum Beispiel total schön, so inspirierend. Doch dann kam Corona und ich musste alles neu denken. Goethe sagte einmal: Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen. Dem Satz kann ich mich gut anschließen. Die Coronakrise ist auch für etwas gut: Dinge, die gestern noch undenkbar waren, sind plötzlich machbar.
Was glauben Sie, lernen die Menschen aus der Coronakrise – Stichwort Nachhaltigkeit?
Das kommt hoffentlich noch. Im politischen Raum darf man durchaus daran zweifeln, doch auf der persönlichen Ebene, die man beeinflussen kann, kann man bezüglich Nachhaltigkeit jetzt vieles anders machen. Es kann ein neues Normal geben. Das kann im Kleinen anfangen, zum Beispiel sich mehr Zeit für sich und seine Liebsten zu nehmen. Das führt automatisch zu weniger Konsum. Das gilt vor allem für den Konsum sozialer Medien.
Warum sind Sie nicht auf Instagram zu finden, dort könnten Sie besonders junge Menschen für Ihr Buch begeistern.
Weil ich es nicht brauche. Es gibt mir nichts. Auch wenn ich dort besser die jungen Leute erreichen könnte. Aber ich glaube nicht an die Währung der Klicks und Likes.
Autorin Sabine Roters